Chronischer diffuser Haarausfall bei Frauen ohne erkennbare Ursache
25. Juni 2024 - Dr. A. Finner, Dr. U. Schwichtenberg
Diffusem Haarausfall, auch telogenes Effluvium genannt, können insbesondere bei Frauen vielfältige Ursachen zugrunde liegen, denen abhängig von der Dauer und der Vorgeschichte zunächst nachgeforscht werden sollte. Besteht der Haarverlust seit einem Zeitraum von weniger als 6 Monaten, kommen z.B. um 3 bis 4 Monate vorausgegangene fieberhafte Infekte, Operationen in Vollnarkose, Crash-Diäten oder auch die Geburt eines Kindes als Auslöser in Betracht. Wenn die Ursache erkannt und behoben ist, kommt der Haarausfall im Allgemeinen von alleine wieder zum Stillstand. Bei länger bestehendem Haarausfall (> 6 Monate) kommen fortbestehende allgemeinmedizinische Störungen, wie z.B. Eisenmangel, Störungen der Schilddrüsenfunktion, eine unerwünschte Medikamentenwirkung, aber auch der anlagebedingte Haarausfall vom weiblichen Typ in Frage. Kombinationsbilder verschiedener Auslöser sind häufig, was die Ursachenfindung nicht einfacher macht.
In schätzungsweise 30% der Fälle von chronischem diffusen Haarausfall von mindestens 6 Monaten Dauer ist jedoch keinerlei Ursache festzustellen. In der Fachkreisen spricht man dann vom "idiopathischen chronischen Telogeneffluvium" (CTE). In den letzten Jahren gab es aber vermehrt Diskussionen in der Fachwelt darüber, ob das CTE wirklich eine eigenständige Erkrankung darstellt. Eine Forschungsgruppe um die renommierten HaarwissenschaftlerInnen Antonella Tosti, Rodney Sinclair, Andrew Messenger und Ralf Paus hatten sich daher das Ziel gesetzt, anhand veröffentlichter Fälle in der Fachliteratur zu bewerten, ob genug Beweise für eine Existenz des CTE als separates Krankheitsbild vorliegen. Die Ergebnisse wurden in der Fachzeitschrift „American Journal of clinical Dermatology“ veröffentlicht.
Achtzehn Studien (bestehend aus fünf Fallserien, sieben Querschnittstudien, drei Fall-Kontroll-Studien, einem Fallbericht, einer quasi-experimentellen Studie und einer Studie zur diagnostischen Genauigkeit) wurden zur Bewertung einbezogen und enthielten 1628 Fälle. Elf davon wurden als qualitativ gut eingestuft. 97,5% aller Fälle waren weiblich. Keine Studien dokumentierten jedoch, dass sie wirklich alle in Frage kommenden Ursachen für einen telogenen Haarausfall ausgeschlossen hatten. Nur drei Studien (mit insgesamt acht Fällen) führten eine prospektive Nachbeobachtung durch. Alle acht Studien, die Biopsien durchführten, berichteten von einem normalen Verhältnis von Terminal- zu Vellushaaren in den analysierten Proben. Keine Studien bewerteten objektiv den Einfluss von Haarlänge oder psychischer Belastung auf die Wahrscheinlichkeit, die Diagnose CTE zu erhalten.
Zusammenfassend kamen die Autoren daher zu diesen Schlussfolgerungen: Das Fehlen einer einheitlichen und konsistenten Definition für das chronische Telogen-Effluvium ist eine bedeutende Einschränkung. Viele Fälle, die derzeit als CTE bezeichnet werden, repräsentieren wahrscheinlich entweder einen frühen anlagebedingten Haarausfall (androgenetische Alopezie) mit weiblichem Lichtungsmuster oder ein Telogen-Effluvium aufgrund einer nicht identifizierten zugrundeliegenden sekundären Ursache. Wenn auslösende Faktoren definitiv ausgeschlossen wurden, könnte der Haarausfall eine Veränderung im normalerweise asynchron verlaufenden Haarzyklus darstellen. Einige Fälle könnten auch eine anhaltende Besorgnis über bereits wieder normalisierten Haarausfall bei ängstlichen langhaarigen Personen darstellen.
Was bedeutet das für die betroffenen Frauen und die behandelnden Ärztinnen und Ärzte unserer Ansicht nach?
1. mögliche Ursachen für ein telegenes Effluvium müssen sorgfältig ausgeschlossen werden
2. einem beginnenden anlagebedingten Haarausfall mit weiblichem Lichtungsmuster kommt man in einer Haarsprechstunde zumeist mit genauen Untersuchungen wie einer Auflichtmikroskopie der Kopfhaut und einer computergestützten Haarstatusanalyse auf die Schliche
3. Psychische Faktoren müssen von beiden Seiten berücksichtigt werden. Es dauert eine Zeit, bis die im Rahmen eines telegenen Haarausfalls verlorene Haarmasse wieder die ursprüngliche Menge erreicht, auch wenn sich der Haarverlust schon lange wieder normalisiert hat. Je länger die Haare sind, desto stärker tritt dieser Effekt zu Tage. Auch darf nicht erwartet werden, dass der tägliche Haarverlust auf Null heruntergeht. Ein erhöhter täglicher Haarwechsel kann je nach Haardichte völlig normal sein, solange alle Haare wieder nachwachsen. Das kann in Verlaufsmessungen überprüft werden.
Dr. Andreas Finner (www.trichomed.com), Dr. Uwe Schwichtenberg (www.derma-Nord.de)
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