Ausblick in die Zukunft der Behandlung des anlagebedingten Haarausfalls
24. Oktober 2013 - Dr. Uwe Schwichtenberg
Prof. Rolf Hoffmann aus Freiburg und weitere international bekannte Haarforscher wie Dr. Kevin McElwee und Prof. Jerry Shapiro aus Vancouver/Canada entwickeln seit ca. 10 Jahren unter dem Dach der Firma Replicel ein Zell-basiertes Verfahren zur Behandlung des anlagebedingten Haarausfalls (wir berichteten). Bei diesem Verfahren wird zunächst eine Gewebeprobe vom Hinterkopf entnommen und dann in einem Reinraumlabor weiterverarbeitet. Dort werden einzelne Haare präpariert, aus denen sogenannte Tassenzellen vom unteren Pol der Haarwurzel isoliert werden. Im nächsten Schritt werden diese Tassenzellen millionenfach vervielfältigt, um letztlich in das betroffene Kopfhautareal injiziert zu werden. Der postulierte Wirkmechanismus des Verfahrens ist die Integration von Tassenzellen in verkümmerte, von anlagebedingtem Haarausfall betroffene Haarwurzeln. Hierdurch sollen aus feinen Haaren wieder kräftige, verjüngte Haare wachsen.
Wir sprachen auf einem großen Ärztekongress mit Prof. Hoffmann über die Funktionsweise und die Zukunft des Verfahrens:
Haarerkrankungen.de: Wo genau liegen die Vorteile gegenüber einer Haartransplantation?
Prof. Hoffmann: Bei der Haartransplantation erfolgt lediglich eine Umverteilung von kräftigen Haaren des Hinterkopfs in die Zonen mit Haarverlust. Sind jedoch nur wenige Haare verfügbar oder ist die Alopezie zu ausgeprägt, kommt eine Haartransplantation zu spät. Weiterhin haben sehr viele Frauen eine diffuse Alopezie, welche schwierig zu transplantieren ist, um feine Haare durch die Transplantation nicht zu schädigen. Weiterhin ist eine Haartransplantation ein recht invasiver Eingriff, der meist einen mehrere Zentimeter langen Schnitt entlang des gesamten Hinterkopfs erfordert. All diese Beschränkungen hat unsere zukünftige Technologie nicht. Unsere Technologie bedarf lediglich einer 8 mm großen Hautstanze. Auch die Injektion in die Kopfhaut durch feine Nadeln ist weit weniger aufwendig als das Einsetzen einer Vielzahl kleiner Transplantate. Der wesentliche Vorteil ist aber der, dass wir Haarwurzelzellen vervielfältigen, um damit sehr viele Haare zu behandeln.
Haarerkrankungen.de: Könnten also in Zukunft mit der Replicel-Technik auch größere kahle Flächen auf der Kopfhaut behandelt werden?
Prof. Hoffmann: Grundsätzlich sind Zell-basierte Therapien als Arzneimittel reguliert und müssen daher mit streng kontrollierten Studien die Sicherheit und Wirksamkeit zeigen, bevor es zu einer Zulassung kommen kann. In einer geplanten Phase-2-Studie werden zunächst kleine Areale behandelt, um die minimal notwendige Zelldosis herauszufinden. Steht diese dann fest, so ist das logische Ziel die Behandlung größerer Areale.
Haarerkrankungen.de: Werden auch Studien in Deutschland stattfinden, an denen betroffene Personen teilnehmen können?
Prof. Hoffmann: Die oben genannte Studie ist als multizentrische Studie in Deutschland angelegt, und ein Zentrum wird in Berlin sein. Sobald alle behördlichen Genehmigungen vorliegen, werden wir dies kommunizieren.
Haarerkrankungen.de: Wird das Replicel-Verfahren nach der Zulassung nur in Kliniken durchgeführt werden oder wird dies auch in einer normalen Hautarztpraxis möglich sein?
Prof. Hoffmann: Wir werden das Verfahren mit einem sehr einfach zu bedienenden Injektor kombinieren, welcher letztlich die Größe eines Zahnarztbohrers und die Funktionalität eines Insulin-Pens hat. Damit wird die Injektion nicht schwieriger sein als Unterspritzungen mit Hyaluronsäure zur Faltentherapie. Da auch eine Kopfhautbiopsie zum Arsenal einer Hautarztpraxis gehört, könnte eine solche Therapie nach gutem Training auch in einer Praxis durchgeführt werden. Einschränkend muss angemerkt werden, dass in Europa eine Entnahmeerlaubnis notwendig ist, um Gewebe für derartige Zwecke zu entnehmen. Das bedeutet, dass jede Praxis oder Klinik hierfür höhere Anforderungen erfüllen muss als nur die technischen Voraussetzungen einer OP Einrichtung. Diese Details werden bis zu einer Zulassung geklärt sein.
Haarerkrankungen.de: Es kommen ja immer wieder Meldungen über Versuche mit Stammzellen oder ähnlichen Techniken, von denen man dann aber nichts mehr hört. Wird es bald eine Vielzahl von Behandlungsmöglichkeiten dieser Art geben oder verlaufen die meisten Forschungen in dieser Richtung im Endeffekt erfolglos?
Prof. Hoffmann: Ob erfolglos oder nicht, kann ich nicht sagen, da die Resultate meist nicht publiziert werden. Ich beobachte nicht selten, dass interessante Ansätze mangels dauerhafter Finanzierung scheitern. Grundsätzlich ist die Entwicklung eines Arzneimittels als Haartherapeutikum ein sehr langwieriger Prozess.
Haarerkrankungen.de: Arbeiten Sie in der Entwicklung des Verfahrens mit Kooperationspartnern zusammen?
Prof. Hoffmann: Es ist uns gelungen einen Kooperationspartner zu gewinnen, welcher im Rahmen einer Lizenzvereinbarung parallele Entwicklungen in Japan, China, Südkorea, Taiwan und den sogenannten ASEAN-Länder vorantreibt. Wir sind sehr froh über diese Kooperation, denn damit verdoppeln sich die Anstrengungen.
Haarerkrankungen.de: Lassen sich die Zellen aus dem Haar auch zum Aufbau anderer Körpergewebe nutzen?
Prof. Hoffmann: Das Haar ist ein kleines Wunder der Natur, denn als Miniaturorgan ist es aus vielen unterschiedlichen Zellen aufgebaut. Schon seit vielen Jahren wissen wir, dass Haarkeratinozyten als Hautersatz verwendet werden können. Die Zellen der Haartasse werden wie oben beschrieben nun verwendet, um in Studien die Wirksamkeit bei Haarverlust zu belegen. Aber auch eher statische Zellen, wie die das Haar umscheidende Bindegewebsfibroblasten, können wirksam bei bestimmten Erkrankungen sein. Wir definieren diese Zellen als "Haarhüllenfibroblasten" oberhalb der Haarwurzel (NBDS: non-bulbar dermal sheath). Das klingt umständlich, spiegelt aber die biologische Funktion wider. Während Tassenzellen sich in einem Haarzyklus immer wieder remodellieren und Haarwuchs regulieren, so sind die Hüllenzellen eher statisch und geben dem Haar seinen Halt. Fällt ein Haar aus, so verbleibt die Haarhülle in der Kopfhaut und dient dem neuen Haar als Leitstruktur bei Haarwiederwuchs.
Diese Hüllenzellen haben die Eigenschaft, besonders viel Kollagen-1 zu produzieren, und zwar deutlich mehr als Fibroblasten der Haut. Zusammen mit Kooperationspartnern ist es uns nun im Labor gelungen, durch kontinuierliche Dehnung aus Hüllenfibroblasten eine menschliche Sehne zu erzeugen. Das bedeutet, dass Hüllenfibroblasten sich den jeweiligen Anforderungen anpassen und daher auch als Reparaturzellen bei Sehnenschäden eingesetzt werden können. Daher haben wir vor wenigen Monaten ein Projekt gestartet zur Entwicklung von körpereigenen Hüllenfibroblasten als Therapie bei chronischen Sehnenschäden (Tendinosis) wie z.B. der Achillessehne, der Kniescheibensehne oder der Sehne am äußeren Ellenbogen (sog. Tennisellenbogen). Auch hier sind klinische Studien in Vorbereitung.
In der Summe sehe ich das Haar mit seinen vielen Zellarten als eine Art Werkbank zur Erforschung unterschiedlicher Therapien und bin sehr gespannt, welche wegweisenden Entwicklungen in Zukunft Einzug in die Klinik finden.
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