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Mein Horror-Tagebuch, Teil II
12. April 2019 - Dr. Uwe Schwichtenberg

Ende September 2018
Ich konnte mich nun gedanklich auf nichts anderes mehr einlassen, als meine Haar-Problematik. In jeder Stunde begab ich mich etwa 10- bis 20-mal vor einen Spiegel, um meinen Zustand festzustellen. Nicht einmal nachts konnte ich abschalten und kontrollierte weiterhin mehrfach mein Aussehen. An jedem Tag verlor ich bis zu 1.000 Haare. Ich konnte keine Freunde mehr um mich haben, sagte zahlreiche Einladungen ab; was mich aber sehr belastete. Ich haderte stark mit meiner Lage, war ständig niedergeschlagen, ängstlich und bereits mit Alltagsdingen überfordert.

Ich verfolgte nur noch einen Gedanken: Ich wollte bestätigt haben, dass der Ausfall ganz sicher aufhören würde. Und ich wollte wissen, wann es endlich so weit sei. Immer wieder stellte ich Fragen, die darauf abzielten, entsprechende Antworten zu erhalten. Mein "Haar-Arzt", den ich mittlerweile 2x pro Woche aufsuchte, gab mir dazu freundlich, aber klar zu verstehen, dass ich immer wieder die gleichen Fragen in nur leicht veränderter Form stellte. Natürlich realisierte ich, dass ich hierin penetrant wurde und mich veränderte. Dennoch verletzte es mich, wenn ich hören musste, dass ich mich nicht mehr rational verhielte. Ich erfuhr dazu, dass ich bei meinem diffusen Ausfall zumindest nicht Gefahr liefe, kahle Stellen auf dem Kopf zu bekommen; was mich aber nicht beruhigen konnte.

Ich ließ mir vorsorglich die Haare kurz schneiden, was jedoch zu meiner großen Enttäuschung nicht zur Verbesserung meines Aussehens beitrug. Der Friseurbesuch stellte für mich auch eine Tortur dar, die ich nur unter größter Nervenanspannung ertrug. Die tätige Friseurin thematisierte mein Leiden ausgiebig, was mich zusätzlich stark belastete. Ihre Tätigkeit empfand ich als sehr grob, so dass ich Furcht spürte.

Da das Waschen schon unter normalen Umständen zu mehr Haarverlusten führt, entwickelte sich auch dies für mich zum absoluten Alptraum. Eine bevorstehende Wäsche führte zu einer noch unruhigeren Nacht, als ich sie ohnehin schon erlebte. Zunächst stellte die seltene Haarpflege jedoch kein großes zusätzliches Problem dar; bis auf die Tatsache, dass ich mich dadurch zusätzlich krank fühlte.

Mir war bewusst, dass Stress meine Lage nur verschlimmerte und damit auch den Haarausfall zeitlich in die Länge ziehen würde; dennoch war ich oftmals schockiert, wenn ich von verschiedenen Seiten wie Freunden und Bekannten prognostiziert bekam, dass sich mein Zustand aufgrund meiner deprimierten und pessimistischen Einstellung nie mehr ändern würde. Ich wollte nun erst recht ruhig bleiben, aber die dargestellte Situation setzte mich dennoch zunehmend unter Druck. Dies verursachte neue depressive Stimmungen, stärkte bestehende Ängste usw. Ich nahm dies selber als Teufelskreis wahr, dem ich aber nicht entkommen konnte.

Ich beschränkte meine Kontakte auf ein drastisches Minimum. Bedingt durch den absoluten Kontrollverlust, strengte mich jede Schilderung meiner Lage an, lies sich aber nicht immer vermeiden. Ich führte unter Druck deshalb u.a. wenige Telefonate mit einer Kollegin. Anlässlich eines Gespräches empfahl sie mir eine ihrer Freundinnen, die Reiki-Behandlungen anbot. Obwohl ich dem bis zu diesem Zeitpunkt eher skeptisch gegenüberstand, vereinbarte ich Treffen mit der genannten Praktikerin. Auch diese wollte mich mit Ratschlägen unterstützen und kontaktierte in der Folge einen ihr bekannten Heilpraktiker. Die betreffende Dame drängte mich ebenfalls zu einer Kommunikation mit einer ihrer Freundinnen, die einer Selbsthilfegruppe "Leben mit kreisrundem Haarausfall" vorstand. Ich verdeutlichte, dass ich nicht zu dem entsprechenden Personenkreis zählte, konnte mich aber nur unter für mich erheblichem Energieaufwand dagegen durchsetzen. Eine weitere Freundin aus meiner Nachbarschaft, die mich mehrmals gesehen hatte, vermittelte mir darüber hinaus den Kontakt zu einer ihrer Verwandten, die mir Entspannungsübungen beibrachte. Alle Personen betrachteten mein Problem schließlich aus einem anderen, zum Teil kontroversen Blickwinkel und es schien mir unmöglich, alle hilfreich gemeinten Tipps zu beachten. Mithin wurde meine Situation für mich im Grunde noch deprimierender.

Anfang Oktober 2018
Meine Tage - und oft auch die Nächte - waren bestimmt vom Kontrollieren meiner Haare und meiner Optik. Die Anzahl der verlorenen Haare teilte ich auch meiner Familie fast permanent mit, wobei sie sich noch immer bei bis zu 500 bewegte.

In dieser Zeit nahm der Druck auf mich auch dahingehend zu, dass ich häufig aufgefordert wurde, mir Psychopharmaka verordnen zu lassen. Ich sperrte mich lange dagegen, da mir in den wenigen Rücksprachen, die ich noch führte, zahlreiche negative Auswirkungen dieser Präparate dargestellt wurden. Ich wollte auch den Personen nicht Recht geben, die mein Verhalten oftmals als irrational bewerteten. Ich beugte mich dennoch nach einiger Zeit, da mir bewusst war, dass ich Hilfe brauchte. Also ließ ich mich von einem Hausarzt an eine Psychiaterin überweisen. Im Ergebnis erhielt ich zwei Medikamente, die meine Unruhe jedoch stark verschlimmerten und auch zu Gliederschmerzen führten. Somit entschied ich mich, die Tabletten wieder abzusetzen. Da einige Menschen jedoch weiter davon ausgingen, ich würde unter dem Einfluss von Psychopharmaka stehen, beurteilten sie mein Verhalten nun anders, nämlich deutlich positiver. Unterstützend suchte ich danach aber auch eine Psychologin auf.

Von vielen Seiten wurde mir in dieser Phase geraten, meinen Alltag weiter zu strukturieren, meine Sozialkontakte nicht abzubrechen etc. Dazu wurden auch Spaziergänge vorgeschlagen. In diesem Stadium war ich aber bereits nur noch auf das Zählen der ausfallenden Haare fokussiert. Ich mochte mich kaum draußen aufhalten. Zum einen, weil ich nicht gesehen werden wollte, zum anderen aber auch aus einem anderen Grund: Ich verspürte Angst, der leichteste Windzug könnte weitere Haare kosten, was mein Aussehen weiter dramatisch verschlechtern würde.

Verschlimmert wurde diese Zeit wiederum durch die fast panische Angst, meine Haare zu waschen. Die Menge der dabei ausfallenden Haare zu realisieren, war für mich nicht zu ertragen.

Ich sagte weiterhin sämtliche geplanten Treffen ab, nahm nicht mehr an Veranstaltungen teil, lehnte Einladungen ab, sofern ich diese am Telefon überhaupt noch entgegennahm. Gleichzeitig verging keine Stunde, in dem ich mir keine Gedanken darüber machte, wann ich wieder Freunde empfangen und arbeiten gehen könnte. Ein einfacher Einkauf im Supermarkt schien mir als erstrebenswertes Ereignis und ich war neidisch auf alle, die ihr Alltagsleben meistern durften, während ich nur weiter hadern konnte.

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