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Expertenrat zum anlagebedingten Haarausfall des Mannes

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Thema: Hautarzt erzählte etwas von unerforschter Typ3-Hemmung durch Finasterid
2014-01-31
Autor:
zimmi85
Sehr geehrtes Experten-Team,

ich war heute bei meinem Hautarzt, um mir Propecia verschreiben zu lassen, weil meine Haare über den gesamten Kopf immer dünner werden. Ich habe also keinen Haarausfall, der in das klassische Norwood-Schema passt, sondern eher eine diffuse Ausdünnung nach dieser Ludwig-Skala.
Aus ihrer Erfahrung in der Praxis: hilft bei dieser Form des Haarausfalls Finasterid ebenfalls? Oder ist dafür Minoxidil bzw. die Kombibehandlung besser geeignet?

Mein Hautarzt hat mich auch gut wie ich finde bzgl. möglichen Nebenwirkungen aufgeklärt. Grundsätzlich ist er eher skeptisch gegenüber dem Wirkmechanismus eingestellt. Er verwies auf eine Studie, dass nach neueren Erkenntnissen noch ein dritter Typ der bekannten 5a-Reduktase existiert, der mit Finasterid oder Dutasterid gehemmt wird und das wohl u.a. das Risiko von Prostata- sowie männlichen Brustkrebs erhöhen könne.
Was habe ich von dieser Einschätzung zu halten?

Ich würde Propecia schon gern eine Chance geben, bin jetzt aber etwas verunsichert.
Hier ist diese Studie verlinkt:
http://www.alopezie.de/fud/index.php/fa/13718/

Danke für die aussagekräftigen Informationen, die man hier in diesem Forum erhält.

MfG,
Dr. Uwe Schwichtenberg

Experte
Beiträge:729
2014-02-02
Sehr geehrter Fragesteller

Der Wirksamkeitsnachweis von Finasterid zur Behandlung des anlagebedingten Haarausfalles wurde in der Vertexregion erbracht. Aus der täglichen Praxis gewinnt man den Eindruck, dass auch in den Geheimratsecken ein ausreichender Effekt eintritt.
Prof. Wolff schrieb dazu in diesem Forum:
"Etwa 90% der mit Finasterid 1 mg (Propecia) behandelten Patienten zeigten in einer publizierten 5-Jahres-Studie eine Stabilisierung oder Verbesserung der Haardichte. Zwar fanden die eindrucksvollsten Verdichtungen vor allem im Haarwirbel statt, einige Probanden wiesen jedoch auch erstaunliche Verdichtung im frontalen Haaransatzbereich auf. Eine Verschlechterung in diesem Areal unter Einnahme von Finasterid ist zwar nicht bei jedem Behandelten auszuschließen, ich persönlich habe es bisher jedoch noch nie bei einem Patienten eindeutig gesehen.

Die Hypothese, dass frontale Haarwurzeln eine andere Haarbiologie haben als Haare im Wirbelbereich ist weder bewiesen noch widerlegt. Aufgrund unserer Erfahrungen mit Finasterid gehen wir jedoch davon aus, dass auch frontale Haare durch Finasterid vor dem Prozess der Miniaturisierung geschützt werden. Auch wenn dieser Schutz vielleicht nicht lebenslang alle Frontalhaare mit 100%iger Sicherheit vor der Miniaturisierung bewahrt, ist er doch bei etwa 90% der mit Finasterid Behandelten zumindest 5 Jahre so gut, dass keine signifikante Lichtung im Frontalbereich fortschreitet."



Nachdem im Jahr 2000 eine amerikanische Studie keinen therapeutischen Effekt bei postmenopausalen Frauen finden konnte, mehrten sich in der jüngeren Vergangenheit Meldungen über positive Effekte auch bei Frauen. So z.B. eine kleine Studie an 5 Patientinnen von Trüeb oder auch die Arbeit von Tosti et al. siehe unsere Meldung vom 31.08.2006:


"Finasterid 1m g (Handelspräparat Propecia) ist seit mehreren Jahren in der Behandlung des anlagebedingten Haarausfalls (AGA, androgenetische Alopezie, Alopecia androgenetica) des Mannes etabliert. Über die Wirksamkeit und die Sicherheit des Präparates in der Behandlung der weiblichen AGA gab es bisher nur wenige und zudem widersprüchliche Ergebnisse (wir berichteten).

Im Rahmen einer aktuellen Publikation wurden nun die Ergebnisse einer Finasterid Behandlung von 37 Frauen mit AGA vorgestellt (Iorizzo et al.:"Finasteride treatment of female pattern hair loss." Arch Dermatol. 2006 Mar;142(3):298-302). Die Teilnehmerinnen der Studie erhielten 2,5 mg Finasterid in Kombination mit einer "Antibabypille", da eine Frau unter Finasteridbehandlung auf keinen Fall schwanger werden darf. Nach einem Zeitraum von 12 Monaten wurde der Erfolg der Therapie anhand von Fotos und von videodermatoskopischer Haardichtebestimmung überprüft.

Am Ende des Studienzeitraumes konnte bei 3 Frauen eine deutliche Verbesserung, bei 8 Frauen eine mittelstarke und bei 12 Frauen eine leichte Verbesserung des Haarwachstums beobachtet werden. Bei 13 Teilnehmerinnen trat keine Verbesserung ein, und eine Frau zeigte eine Verschlechterung des Haarstatus. Unerwünschte Wirkungen wurden in der Studie nicht beobachtet, die Therapie wurde also von allen Frauen gut vertragen.

Das Studien-Team von Fr. Prof. Tosti von der Universität Bologna in Italien schloss aus diesen Ergebnissen, dass nun weitere Untersuchungen gebraucht würden um herauszufinden, welche Formen der weiblichen AGA am besten auf eine Finasteridtherapie ansprechen."

Persönliche Erfahrungen bei Männern mit einem "female hair loss pattern", die über Einzelfallsbeobachtungen hinausgehen, haben wir nicht. Grundsätzlich würde ich unter Wertung der oben zitierten Studienergebnisse davon ausgehen, dass beim female pattern ein positiver Effekt eintritt, wenn auch vielleicht nicht im gleichen eindrucksvollen Ausmaß wie in der Wirbelregion.

Welche Konsequenzen aus der von Ihnen angeführte Grundlagenarbeit für die klinische Tätigkeit gezogen werden können ist noch völlig unklar. Es sind Fälle von Brustkrebs unter Finasterid aufgetreten. Aus mathematischer Sicht "leider" ist der Tumor so selten, dass eine Differenzierung zwischen zufälligem Auftreten und ursächlicher Verknüpfung zur Finasteridmedikation nicht vorgenommen werden kann. Ich kläre jedoch alle meine Patienten auf, Knotenbildung in der Brust nicht auf die leichte Schulter zu nehmen, sondern umgehend abklären zu lassen. In unserem eigenen Patientengut hatten wir dennoch noch keinen Fall. Des weiteren kläre ich darüber auf, dass nach jahrelanger Finasterideinnahme voraussichtlich die gutartige Prostatavergrößerung seltener und weniger stark auftreten kann, was ggf. die Diagnose eines Prostatakarzinoms erschweren kann.

Zur Häufigkeit von Prostatakarzinomen unter Finasteridtherapie hatten wir auch eine Meldung unter "aktuelles" am 17.07.2003 mit Ergänzung November 2005:

1 mg Finasterid/Tag (Handelspräparat Propecia) wird seit mehreren Jahren erfolgreich in der Behandlung des anlagebedingten Haarausfalls des Mannes eingesetzt, in der Dosierung von 5 mg/Tag (Handelspräparat Proscar) wird es zur Therapie der gutartigen Prostatavergrößerung (benigne Prostatahyperplasie) genutzt. Eine aktuelle Studie untersuchte nun den Einfluss von 5 mg Finasterid/Tag auf die Entwicklung von Prostatakrebs (Thompson IM et al. (2003): The influence of Finasteride on the Developement of Prostate Cancer. N Engl J Med 349:213-22). Die Resultate der Untersuchungen sind in der aktuellen Online-Ausgabe des Fachjournals "New England Journal of Medicine" vorab publiziert worden. Bereits mehrmals wurde im Expertenrat von Haarerkrankungen.de nach den Ergebnissen der Studie bzw. der Relevanz für die Anwender von Finasterid 1 mg/Tag gegen anlagebedingten Haarausfall gefragt. Prof. Wolff antwortete hierzu:

"Die Studie aus dem New England Journal habe ich aufmerksam gelesen. Die Kernaussage war: Wenn 5 mg Finasterid pro Tag über 7 Jahre Männern über 55 Jahren gegeben wird, verringert sich die Häufigkeit von Prostata-Karzinomen um etwa 25%; allerdings scheint die Häufigkeit von höher malignen Prostata-Karzinomen leicht zuzunehmen (6,4 vs 5,1 %). Rückschlüsse auf Propecia, das 1 mg Finasterid enthält und bei jüngeren Männern angewendet wird, sind meiner Ansicht nach nicht möglich."

Die folgende Zusammenfassung der Ergebnisse der Studie wurde Haarerkrankungen.de von Dr. Christian Kunte von der Ludwig-Maximilians-Universität München zur Verfügung gestellt:

"Die Einnahme des 5-Alpha-Reduktasehemmer Finasterid (Proscar®) resultierte im Southwest Oncology Group Prostate Cancer Prevention Trial (PCPT) in einer fast 25%igen Reduktion des Prostatatumor-Risikos. Die Wissenschafter untersuchten entsprechende Daten von 18.882 über 55jährigen Männern, bei denen bei der Einstiegsuntersuchung digital rektal (Tasten der Prostata durch den Enddarm) kein Befund gestellt werden konnte und deren PSA (Prostata-spezifisches Antigen - Tumormarker für Prostatakarzinome) unter 3,0ng/ml lag. Die Probanden erhielten sieben Jahre lang randomisert (zufällig verteilt) entweder 5mg Finasterid pro Tag oder Plazebo (unwirksame Substanz). Ist im Verlauf der Studie ein Anstieg des PSA-Wertes über 4 ng/ml oder ein auffälliger Tastbefund der Prostata registriert worden, so wurden Biopsien aus verdächtigen Bereichen des Organs entnommen.

Ursprünglich waren 24.482 Männer in die Studie aufgenommen worden. Knapp 4.000 Männer hatten zu Beginn einen PSA-Wert von über 3 ng/ml, weshalb sie dann aus der Studie ausgeschlossen wurden. 18.882 Männer wurden nach dem Zufallsprinzip einem der beiden Studienarme, Plazebo oder Finasterid, zugeteilt. Bei 803 von 4.368 Männern der Finasterid-Gruppe, die bis zum Ende der veranschlagten Studienzeit beobachtet werden konnten, wurde ein Prostatatumor diagnostiziert (18,4 Prozent). In der Plazebo-Gruppe fanden sich 1.147 positive Diagnosen (Prostatakarzinome) von 4.692 Männern (24,4 Prozent). Dies entspricht einer 24,8 prozentigen Risikoreduktion innerhalb von sieben Jahren bei Finasterid-Therapie gegenüber der Einnahme von Plazebo. Jedoch waren bei Therapie mit dem 5-Alpha-Reduktasehemmer Finasterid Tumoren vom Gleason-Score 7-10 (fortgeschrittene Prostatakarzinome) signifikant häufiger als in der Plazebo-Gruppe (6,4% vs. 5,1%) gefunden worden.

Nebenwirkungen sexueller Natur (Impotenz, verminderte Libido, vermindertes Ejakulationsvolumen, Gynäkomastie, u.s.w.) waren bei den Studienteilnehmern aufgrund der Altersstruktur relativ häufig. Erektionsstörungen traten zum Beispiel in der Plazebo-Gruppe bei 61,5 % und in der Finasterid-Gruppe bei 65,4 % der Studienteilnehmer auf. Symptome von Seiten der benignen Prostatahyperplasie (gutartige Prostatavergrößerung) wurden durch die Finasteridtherapie signifikant (statistisch aussagekräftig) gebessert.

Die durchgeführte Studie hat zwei Fragen aufgeworfen: Hat Finasterid Prostatakarzinome verhindert oder behandelt und hat Finasterid das Auftreten von Prostatakarzinomen verhindert oder verzögert? Der frühzeitige Unterschied in der Häufigkeit des Auftretens von Prostata-Karzinomen zwischen der Plazebo- und Finasteridgruppe lässt die Überlegung zu, dass Finasterid subklinische (Karzinome die noch keine Beschwerden verursachen), sehr beginnende Karzinome früh in der Studie behandelt hat. Der Unterschied in der Häufigkeit des Auftretens von Prostata-Karzinomen zwischen der Plazebo- und Finasteridgruppe im Verlauf der Studie ist kontinuierlich angestiegen, was vermuten lässt, dass Finasterid Prostatakarzinome verhindert hat oder das Auftreten verzögert. Auf jeden Fall hat Finasterid einen Vorteil erbracht.

Die Wissenschafter fassen zusammen, dass Finasterid der Prävention oder der späteren Entwicklung eines Prostatatumors dienen könnte, jedoch muss dieser Vorteil gegen die größere Wahrscheinlichkeit der Entwicklung höhergradiger Tumoren und der höheren Nebenwirkungsrate abgewogen werden."

Ergänzung November 2005

Inzwischen wurden die Daten der Studie weitergehend analysiert, mit dem Ergebnis: Finasterid senkt die Rate aller Prostata-Tumoren - die erhöhte Rate aggressiver Tumoren in der Studie war nur ein Artefakt.


Ihr Dr. Uwe Schwichtenberg

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