Dr. Andreas Finner berichtet vom 17. Treffen der europäischen Gesellschaft für Haarforschung 2016
18. September 2016 - Dr. Andreas Finner
Die europäische Haarforschungsgesellschaft EHRS trifft sich jährlich zu wissenschaftlichen Kongressen. Das diesjährige Treffen fand in der (übrigens sehr schönen) georgischen Hauptstadt Tbilisi Anfang Juli 2016 statt, so dass viele Wissenschaftler, Dermatologen, Trichologen, Haarchirurgen und Haarmediziner aus ganz Europa, Amerika, Asien, der Ukraine, Russland und Weissrussland dabei waren.
Das Treffen hatte ein weitgefächertes Programm zu Themen des Haarwachstums, insbesondere verschiedene Haarausfallformen, Haarbiologie, Stammzellforschung, Ergrauen, Genetik, Diagnose, Therapie, Haartransplantation u.v.a. Vor dem eigentlichen Treffen gab es Kurse zur Haardiagnostik und Trichoskopie, teilweise auch auf Russisch.
Am Beginn des Kongresses stand die renommierte John-Ebling-Vorlesung, dieses Jahr eingeladen war Professor Jerry Shapiro aus New York City. In seinem Vortrag gab Dr. Shapiro einen Überblick über seine 30jährige Karriere, welche anfangs von zahlreichen Vorbehalten und Verharmlosungen des Problems Haarausfall sowie der Trichologie als nicht ernsthafter Wissenschaft geprägt war. Trotzdem gelang es Prof. Shapiro, die erste universitätsbasierte Spezialsprechstunde für Haarmedizin in Kombination mit Haartransplantation und einem Forschungslabor in Vancouver, Kanada aufzubauen. Dort wurden ca. 200 Patienten pro Woche behandelt. Inzwischen ist Prof. Shapiro nur noch in New York City tätig. Prof. Shapiro hat zahlreiche internationale Wissenschaftler in einem mindestens einjährigen Fellowship fortgebildet, das auch ich selber in den Jahren 2005/2006 durchlaufen habe. Die Erkenntnisse aus dieser Zeit haben bis heute großen Einfluss auf meine tägliche praktische Arbeit.
Eines der Highlights waren die Vorträge von Dr. Ramon Grimalt über die verschiedenen Störungen, bei denen sich die Patienten die Haare ausziehen. Wir alle kennen Trichotillomanie, aber haben Sie schon von Trichoteiromanie (Haarausfall durch Reiben der Haare) und Trichotemnomanie (absichtliches Schneiden oder Rasieren der Haare bei 13-18-Jährigen) gehört? Trichophagie ist das Essen der Haare, aber bei Trichorhizopagie werden die Haarwurzeln gegessen und bei Trichodaganomanie die Armhaare. Er beschrieb eine Studie mit betroffenen 3- bis 4-jährigen Kindern und die Notwendigkeit für mehr Bewusstsein für diese Diagnosen, denn die Studie ergab, dass nur 51% der Eltern sich dieser Haarzupfaktivitäten des Kindes bewusst waren.
Ein sehr wichtiger Vortrag wurde von Dr. Regina Betz (Universität Bonn) gehalten, in dem sie die jüngsten Studien über die Genetik des anlagebedingten Haarausfalls (androgenetische Alopezie, AGA) vorstellte. Obwohl die Zahl der genetischen Studien noch begrenzt ist, ist die Überlappung der veränderten Gene beim weiblichen Haarausfall (FPHL) und männlichen Haarausfall (MPHL) sehr klein. Dies könnte ein weiterer Hinweis darauf sein, dass sich die Ursachen und Mechanismen der AGA bei Männern und Frauen unterscheiden. In Zukunft könnten daher Therapieformen mit unterschiedlichen Wirkprinzipien für beide Geschlechter entwickelt werden.
Dr. Rolf Hoffmann gab einen Überblick über aktuelle zellbasierte Therapien, die in der Entwicklung für die Behandlung von Haarausfall sind. Eine vielversprechende Behandlungsmethode ist die Injektion eigener aus dem Hinterkopf entnommener und im Labor vermehrter sogenannter Haarpapillazellen, die derzeit in klinischen Studien untersucht wird.
Dr. Koyama zeigte einige sehr interessante hochauflösende MRT-Scans der Kopfhaut, die die Tiefe und die Dichte der Haarfollikel in der Kopfhaut darstellen. Dies könnte eine vielversprechende neue Analysemethode bei anlagebedingtem Haarausfall und anderen Haarerkrankungen werden.
Auch einige klinische Aspekte zur Behandlung des anlagebedingten Haarausfalls waren neu. Sehr interessant war die Neuigkeit, dass bei einigen Patienten eine vermiderte Wirksamkeit von Minoxidil auftritt. Dies liegt an einer reduzierten Aktivität der Sulfonyltransferase in den Haarwurzeln. Ein dafür entwickelter Test mittels Laserdoppler ist noch nicht verfügbar. Jedoch lohnt sich bei Nichtansprechen ein Versuch mit einer höheren Minoxidilkonzentration. Viele Kollegen haben ihre Therapie um PRP- Behandlungen (Unterspritzung mit Eigenblutplättchen) erweitert, obwohl die Studienlage noch unzureichend ist.
Dr. Andreas M. Finner (www.trichomed.com)
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